1875 - Historie

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1875

HISTORISCHE ANMERKUNGEN ZUR SITUATION CALMBACHS
IN DER ZWEITEN HÄLFTE DES 19. JAHRHUNDERTS

um 1875

von

Elmar König und Rüdiger Krüger

 

I. ALLGEMEINE EREIGNISSE IN WÜRTTEMBERG, DEUTSCHLAND UND EUROPA

1850-1862
Entstehung von Aktien- und Kommanditgesellschaften. Großunternehmer entwickeln Bergbau, Eisen- und Maschinenindustrie. Expandierung von Banken und Versicherungen sowie von Verkehrs- und Nachrichtenwesen.

1855
In Württemberg werden Handels- und Gewerbekammern eingerichtet. Dies zeigt Ansätze zu einer Ausrichtung der Wirtschaft nach dem Prinzip der Effektivität.

1857
Überbevölkerung und Wirtschaftskrise in Deutschland treiben die wirtschaftliche Expansion voran.

1862
Nach der Einführung der Gewerbefreiheit boomt die industrielle Produktion.

1864-1891
König Karl von Württemberg. Gemahl der Königin Olga (1822-1892). Mit dem Namen der Königin verbindet sich eine fruchtbare und breitgefächerte caritative Aktivität.

1865-1868
Bau der Eisenbahnlinie Pforzheim-Wildbad.

1866
Baden und Württemberg treten aus dem Deutschen Bund aus.

1870-71
Teilnahme Württembergs am deutsch-französichen Krieg.

1871
Kaiserproklamation in Versailles. Gründung des Deutschen Reichs. Deutschland wird zum Bundesstaat unter der Vorherrschaft Preußens. König Wilhelm v. Preußen wird deutscher Kaiser. Reichskanzler Otto v. Bismarck.

1870-1900
Hermann v. Mittnacht württembergischer Ministerpräsident.

1873
Einheitliche Maß-, Gewichts- und Münzgesetze mit einer Übergangszeit von drei Jahren für das gesamte Reich.
Mark und Pfennig lösen Gulden und Kreuzer ab.
1 Gulden = 60 Kreuzer = 1,71 Mark. (1873).
Nach dem Wiener Börsenkrach Wirtschaftskrise in Deutschland. Ende der Hochkonjunktur der Gründerjahre.

1875
Politische Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland. ("Krieg-in-Sicht-Krise"). 
Gründung der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands in Gotha. 
Einweihung des Hermannsdenkmals im Teutoburger Wald. Symbol der deutschen Einheit.

II. CALMBACH ENDE DES NEUNZEHNTEN JAHRHUNDERTS

Auszüge aus der Oberamtsbeschreibung Neuenbürg v. 1860.

"Gemeinde II. Klasse, Pfarrdorf, mit Aulens-Sägmühle, Böhmlens-Sägmühle, Spiesfeld, Weiler, Ziegelhütte und Zimmer-Sägmühle, 1680 Einwohner, worunter 2 Katholische, Evangelische Pfarrei.
Das Pfarrdorf Calmbach 2 1/4 Stunde südlich von der Oberamtsstadt und 1 Stunde nordöstlich von Wildbad, ist der Sitz eines Revierförsters, und der Floßinspektion, für das ganze Flußgebiet der Enz und der Nagold, auch besteht hier eine Postexpedition.
An der Vereinigung der großen Enz, der kleinen Enz und des Calmbächles hat in einer anmuthigen, wiesenreichen tief eingeschnittenen Thalweitung der ansehnliche freundliche Ort eine reizende Lage, die den Zutritt der Sonnenstrahlen mehr gestattet, als an manchen anderen Punkten der Schwarzwaldthäler. (...)
Der 1/4 Stunde lange, reinlich gehaltene Ort, welcher in neuerer Zeit mit einem guten Straßenpflaster und mit zwei neuen hölzernen Brücken über die große und kleine Enz versehen wurde, hat außer den öffentlichen - noch viele ansehnliche Privatgebäude, worunter namentlich sieben von ehemaligen Förstern erbaute Wohnungen sich befinden, aufzuweisen, was ihm ein städtisches Ansehen verleiht und ihn zu dem schönsten Dorf des Bezirks stempelt. An der Stelle der früheren Kirche wird gegenwärtig eine neue erbaut, welche der Gemeinde Calmbach 10-12000 fl. und der Gemeinde Höfen 1200 fl. Kosten verursacht. (...).
Das ehemalige Goßweilersche Haus wurde im Jahr 1848 von der Gemeinde um 5000 fl. erkauft und als Rathaus eingerichtet; es enthält neben den geräumigen Gelassen für den Gemeinderath die Wohnung des Ortsvorstandes und in seinem unteren Stockwerk die Postexpedition. (...).
Die Einwohner sind im allgemeinen gesunde, durch schwere Arbeit abgehärtete, von Charakter und Sitten etwas derbe Leute, die nicht selten ein hohes, kräftiges Alter erreichen, so daß siebzigjährige Flößer noch mit Flößen nach Mannheim fahren. Ihre Haupterwerbsquellen bestehen in Holzhandel, Flößerei, Holzhauen, Holzführten und Taglohnen; eigentliche Bauren gibt es nicht im Ort. Von den Gewerben sind, außer den gewöhnlichen Professionisten, die Mahl- und Sägemühlen, 1 Brauerei und 4 Schildwirthschaften, worunter eine mit Bierbrauerei, zu nennen. Der Holzhandel mit Floßholz und Schnittwaaren ist sehr bedeutend und die im Ort ansäßigen Holzhändler treiben immer ein Capital von 150,000 fl. jährlich um. Dieser bedeutende Verkehr wie die Nähe von Wildbad machen den Ort sehr lebhaft und bieten viele Gelegenheit zur Arbeit und Verdienst, was umso mehr nöthig ist, als nur eine Theil der Einwohner sich in günstigen Vermögensverhältnissen befindet, während der größere Theil derselben von dem täglichen Verdienst lebt. (...).
Der Ackerbau ... ist ganz unbedeutend und wird größtentheils den Weibern und Kindern überlassen. (...). Von größerer Bedeutung ist der Wiesenbau, welcher die nicht unbeträchtliche Thalebene ausschließlich einnimmt. (...).
Die mit Mostsorten und etwas Tafelobst sich beschäftigende Obstzucht ist ziehmlich gut und liefert nicht selten verhältnismäßig reichlichen Ertrag, der übrigens im Ort selbst verbraucht wird. Pferdezucht besteht nicht, dagegen ist die Pferdehaltung von einigem Belang. Die Rindviehzucht ... ist gut ... Schweine werden viele gezüchtet ... . (...).
Die Poststraße von Neuenbürg nach Wildbad und Freudenstadt führt durch den Ort, von ihr lenkt im Ort die Poststraße nach Calw ab ... .
Der Gemeindehaushalt ist geordnet, so daß bis jetzt eine Gemeindeschadensumlage nicht nöthig wurde. (...).
Die Gemeinde ist im Besitz von 1091 Morgen Nadelwaldungen, welche sie durch Ablösung einer Waldgerechtigkeit erhielt; dieselben ertragen jährlich 700 Klafter, welche übrigens als Stammholz verkauft werden ... . Das Abholz und Prügelholz wird vertheilt, so daß ein Bürger jährlich gegen 1 1/2 Klafter gemischtes Holz erhält. (...).
1680 Einwohner; 263 Gebäude; 19 Pferde; 8 Ochsen/Stiere; 248 Kühe; 35 Stück Schmalvieh/Kälber; 5 Landschafe; 166 Schweine; 18 Ziegen und Böcke; 74 Bienenstöcke."

Daten um 1850: 1650 Einwohner, unter deren 306 aktiven Bürgern sich befinden: 100 Holzfäller und Taglöhner, 62 Flößer, 20-30 Holzfuhrleute, 12 Holzhändler, 18 Schuster, Metzger, Bäcker, Zimmerleute, Schmiede, Leinenweber, Fischer, Seifensieder, Pottaschensieder, Ziegler, Rothgerber u.a.

 

III. INFORMATIONEN ZU FLÖSSEREI UND HOLZHANDEL

13. Jh.
Anfänge des Holzhandels im Schwarzwald.

1310
Erste Münchner Floßordnung.

um 1320
Früheste Erwähnung von Sägemühlen in Deutschland.

1342
Vertrag zwischen Markgraf Rudolph IV. von Baden und Graf Ulrich III. von Württemberg betreffs der Flößerei. Würm, Nagold, Neckar und Enz werden für die Flößerei freigegeben. ("... haben Wir die Enz geöfnet, als fern man darauf geflozen vermag, bis gen Besigheim auf dem Neckar.").

um 1400
Urkundliche Bezeugung der Murgschifferschaft.

um 1500
Beginn der Ära der Forstordnungen.

1536
Floß- und Holzordnung für den Schwarzwald.

1588
Wasserordnung für die Flößerei auf der Enz. Vermutlich Errichtung einer Zollaufsicht auf der Böhmleswag in Calmbach.
Flößerei ist zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als ein Nebenerwerb der Waldbauern. Erst später wird sie zum ausgesprochenen Beruf.

1610-1650
Aufstieg Hollands zur führenden Seemacht; Beginn der großen Stadterweiterung von Amsterdam. Holland wird zum Großimporteur von Bauholz. Nach 1650 weiterer Aufstieg des "Holländer"-Handels.

ab 1690
Aufschwung der Holländer-Flößerei im Schwarzwald.
Unter Holländerholz versteht man besonders hohe und gutgewachsene Tanne. Ein Holländer-Baum hatte eine Mindesthöhe von ca. 18 m und einem Mindestdurchmesser am schmaleren Ende von 30 cm. Im Schwarzwald wurden neue, bis dahin unberührte Waldgebiete für die Holzwirtschaft erschlossen, indem viele Bäche und Flüsse für den Holztransport ausgebaut wurden. Ursprünglich wurde das Holz nach Mainz und Köln gehandelt, im 18. Jhdt. aber wurde direkt nach Holland gehandelt. Traditionell machten die Flößer (Schiffer) vor der Fahrt ihr Testament und kamen oft erst nach zwei Jahren wieder in die Heimat.

18.Jhdt.
Die Rheinflößerei wurde zum kapitalistischen Großunternehmen. Ende des 18. Jhdts. wurden auch im Schwarzwald mit Flößerei und Holzhandel enorme Reichtümer angehäuft. (u.a. J. F. Goßweiler als Mitglied der Holländer-Handels-Companie).

1793
Erfindung der Kreissäge.

1839
Der württembergische Staat übernimmt die Verwaltung der Enzflößerei. Sitz der Floßinspektion in Calmbach.

1860
Zenith für die Flößerei im Enztal. Abfallen des Floßaukommens und damit des finanziellen Nutzens.

1875-1893
Abnahme der Floßeinheiten um 40 Prozent. In den letzten Jahren wurden im Schnitt nur noch 76 Flöße auf der Enz transportiert. Die Enztäler Sägewerke beziehen ihr Holz fast ausschließlich durch Fuhrwerke.

1892
trat man in ernsthafte Verhandlungen zur Beschränkung bzw. vollständigen Aufhebung der Flößerei ein (Sitzung im Calmbacher Rathaus).

1905/1919
Einstellung der Flößerei auf der Großen bzw. Kleinen Enz.

 

IV. DATEN ZUM STÜCK "1875"

22.08.1875
Um zehn Uhr an diesem Sonntagabend bekam der Calmbacher Fritz Proß in einem Wirtshaus in Calmbach Streit mit einem anderen Gast. Der auch im Gasthaus sitzende Vater von Fritz Proß wollte den Streit schlichten, ebenso der jüngere Bruder. Daraufhin verlor Fritz Proß völlig die Beherrschung und versetzte seinem Bruder Karl August einen Stich in die Herzgegend. Der Verletzte wurde sofort nach Hause gebracht, wo er gegen halb elf Uhr starb. Der Täter versteckte sich mit Wissen seiner Familie in einer Scheuer und begab sich am Morgen des 23.08.1875 in Richtung Neuenbürg, um sich dort den Behörden zu stellen. Unterwegs traf ein Landjäger auf ihn, der ihn festnahm.

06.12.1875
Fritz Proß wird vom Schwurgerichtshof Tübingen wegen "Körperverletzung mit nachgefolgtem Tode" zu einer Zuchthausstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte wegen Totschlags angeklagt.

Eintrag im Calmbacher Leichenregister von 1875:

"22. 8. 1875 / Carl Proß, ledig, Küfer, 23 Jahre / nachts 1/2 11 Uhr / Stichwunde des Herzens (Mord) /"

Calmbacher Todesfälle - Auswahl aus dem Leichenregister

01.07.1874
Friedrich Alexander Barth, Kronenwirt, 46 Jahre
-Lebercirrhose

27.09.1874
Christian Friedrich Lieb, ledig, 22 Jahre
-Quetschung der Brustorgane (Unfall)

18.11.1874
Christoph Proß, Dorfmüller, 56 Jahre
-Quetschung der Brustorgane (Unfall)

12.01.1875
achtmonate-alter Fötus, männlich, des Johann Friedrich Dürr, Flößer
-totgeboren

20.02.1875
Gotthilf August, 1 1/2 Jahr alt, Sohn des Johann Friedrich Dürr, Flößer
-Dentitio difficilis

zwischen 04. und 18.08.1875
fünf Kinder im Alter von neun Tagen bis einem Jahr gestorben
-Atrophie, Gichter, Dentitio diff.

22.08.1875 22.30 Uhr
Carl Proß, ledig, 23 Jahre, Küfer
-Stichwunde des Herzens

02.01.1876
Carl Friedrich, neun Wochen, Sohn des Johann Friedrich Dürr, Flößer
- Pneumonie

27./28.03.1877
Philipp Jacob Bott, 38 Jahre, Weber
-Selbstmord durch Erhängen

28.05.1877
Rosenwirth Barth
-Tod durch Erhängen

04.09.1877
Johann Friedrich Seyfried, 40 Jahre, Rößleswirt
-Phtisis pulmon. und Lebercirrhose

 

Quellen zu den sachlichen Themen:

I. Ungedruckt:

Leichregister 1875, Archiv Calmbach.

II.Gedruckt:

"Der Enzthäler", Jahrgangsband 1875, Archiv Calmbach.
Fischer, Hans: Joggele Sperr! Wissenswertes über die Flößerzunft im Zusammenhang mit der Geschichte Calmbachs. Pforzheim 1983. 120 S.
Königlich statistisch-topographisches Bureau (Hg.): Beschreibung des Oberamtes Neuenbürg. Stuttgart 1860. 264 S.
Radkau, J. u. Schäfer, I.: Holz. Ein Naturstoff in seiner Technikgeschichte. Reinbek 1987. 312 S.

 

 

© Dr. Rüdiger Krüger, Rheda-Wiedenbrück 2006
Kontakt: mailto:siegfriedcarl@hotmail.com
letzte Änderung: 28.05.00

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