Schachzug - Text

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Der Schachzug

oder

Das Bauernopfer

Die Verleihung des Markt-, Münz- und Zollrechtes

über Wiedenbrück an den Bischof von Osnabrück

 

Eine Szene aus dem zehnten Jahrhundert

als Demonstration der Machtpolitik der Ottonen

im Spiel der weltlichen und kirchlichen Gewalten

 

 

für

Irmgard

 

 

Otto der Große (links unten) übergibt dem thronenden Christus den Magdeburger Dom. Metropolitan Museum of Art, New York

 

 

TEXT

 

Vorspiel vor dem Theater  Die Vorstellung der hohen weltlichen Herrschaften und herrschaftlichen Redner

 

Der Herold tritt zweimal auf, um mit lauter Stimme und großer Geste die Grußwörtler anzukündigen.

 

Herold [mit lauter Stimme]: Hört, hört, hört...! Es spricht zum Ersten zu euch, Bürger Wiedenbrücks und Volk von Nah und Fern, der erste Bürger der Stadt: Jost Kleigrewe!

 

Der Bürgermeister tritt auf und richtet ein Grußwort an das versammelte Publikum.
Applaus...

 

Herold [mit lauter Stimme]: Hört, hört, hört...! Es spricht zum Zweiten zu euch, Bürger Wiedenbrücks und Volk von Nah und Fern, der durch­lauchte Clement der Einzige von Westfalen, König von Volkes Gnaden!

 

Der Ministerpräsident tritt auf und spricht ein Grußwort zur Festgesellschaft.
Applaus...

 

 

Beginn des eigentlichen Stückes

 

Szene 1  Die Rivalen

 

In kahlem Raum sitzen sich – schon während des Vorspiels – der junge Liudolf und dessen Onkel Heinrich – an einem Schachbrett spielend – gegenüber. Die blinde Hildegardis kauert in einer Ecke und flicht aus Hanf ein Seil; sie hört den beiden aufmerksam zu.

 

Heinrich [greift sich grübelnd ans Kinn, bedächtig]: Eine verflixte Lage, in die ich mich da manövriert habe.  [er lacht und droht einem Gegenüber scherzhaft] Liudolf, Liudolf! Du hast deine Schachlektionen gut gelernt. Wenn du nur im wahren Königsspiel ein genauso guter Stratege wärst. [er zieht mit schneller Bewegung eine Figur auf dem Brett]

Liudolf [schaut grimmig vor sich hin und stößt wütend hervor]: Ich werde meinem Vater schon noch zeigen, dass ich sein Sohn, dass ich sein rechtmäßiger Erbe bin.

Heinrich [lacht nochmals laut]: Jetzt musst du erst einmal mir zeigen, wer Herrscher auf dem Schachbrett ist... Nur zu...

Liudolf [steht auf und beugt sich angespannt über das Schachbrett, er greift seine Dame und zieht]: Schach dem König, Onkel Heinrich,... und... ich glaube... ja... Schach matt! [ironisch] Wer zuletzt lacht, lacht am besten.

Heinrich [lacht wiederum, doch nicht mehr so energisch]: Ja, wer zuletzt lacht, lacht am besten. Im Schachspiel mag es dir gelingen. Aber ob du zu guter Letzt im Machtspiel der Lachende sein wirst, das steht in den Sternen. Ich denke, dein Vater spielt ein Spiel, dessen Züge für uns undurch­schaubar sind... Wenn ich nur wüsste, welche Strategie er hat, was er wirklich will? Es kann doch nicht...

Liudolf [unterbricht ihn wütend]: Papperlapapp Strategie! [schüttelt energisch den Kopf] Da gibt’s doch nur eines. Seine neue Frau steckt dahinter. Adelheid will die Krone für ihren noch nicht einmal gezeugten Erben sichern. [lacht hämisch]

Heinrich [macht eine wegwischende Handbewegung]: Lass Adelheid aus dem Spiel, Liudolf! Deine Stiefmutter ist eine feine Frau und Machtkalkül ist ihr ein Fremdwort.

Liudolf [zischt voller Neid]: Eine Wölfin im Schafspelz.

Heinrich [schlägt mit der Hand auf den Tisch, dass die Schachfiguren durcheinander purzeln]: Neid und Eifersucht zerfressen dir dein Hirn; sie sind schlechte Ratgeber. [lächelnd] Nicht in jedem Spiel ist eine neue Dame ein strategi­scher Schachzug; nein, Adelheid hat damit nichts zu tun, schlag dir das aus dem Kopf...

Liudolf [unwillig]: Aber was ist es dann, wenn die Schlange nichts damit zu tun hat?

Heinrich [kopfschüttelnd]: Das ist ein ausgemachter Blödsinn, den dein Vater sich da in den Kopf gesetzt hat.

Liudolf [irritiert]:  Was meinst du...?

Heinrich [laut und energisch]: Na, das mit dem Reich,  mit der Stärkung des Reichs, mit der Einheit des Reiches [er schüttelt den Kopf und ruft] Reich, Reich, Reich... [er lacht hämisch] Das ist ein rechter Schmarren, so würden meine Bayern das nennen!

Liudolf [argwöhnisch lauernd]: Ja, du und dein Bayern. Damit hat dich dein Bruder mundtot gemacht. [er lacht hämisch] Dein Linsengericht, ein Her­zogtum...

Heinrich [braust auf]: Mundtot ich? Ha! Noch lange nicht... Aber du weißt, wie es Thangmar erging, unserem Halbbruder. Und auch Eberhard, der Franke und Herzog Giselbert von Lothringen haben bei Andernach ein schreckliches Ende gefunden...

Liudolf [hämisch lächelnd]: Spür ich da so etwas wie Angst vor dem großen Bruder, Onkel Heinrich. Dich hat er zum mächtigsten Herzog gemacht, obwohl mir als Erben diese Würde zugestanden hätte. [verächtlich] Mich hat er durch meine Heirat mit Schwaben abgespeist.

Heinrich [lacht brutal]: Dass ich nicht lache... Mir stünde die Königswürde zu. Ich bin als Königssohn geboren, nicht Otto. [mit Nachdruck] Man muss nur meine Mutter Mathilde fragen, sie sagt es stets, mir steht der Purpur zu. [voller Stolz] Aber ein Herzog von Bayern ist wie ein König!

Liudolf [unterbricht ihn vehement]: Nein! mir steht er zu, der Königsthron. Ich bin der erstgeborene Königssohn.

Hildegardis [spricht laut vor sich hin]: Da wird die Frucht im Leib unserer Königin Adelheid ein Wörtchen mitzureden haben...

Liudolf [erstaunt und wütend]: Was sagt die Alte da? Die Königin – geschwän­gert von meinem Vater?.

Heinrich [gleichzeitig und noch brutaler]: Was will die alte, blinde Vettel. [er wirft mit der schwarzen Dame nach Hildegardis] Hier hast du deine Königin; und jetzt: Halts Maul! Sonst wird es dir gestopft...

Hildegardis [sehr bestimmt]: Du kannst mit hölzernen Königinnen beim Schachspiel werfen, aber keinem König Otto Paroli bieten. Er ist der König von Gottes Gnaden [sie hebt bei den letzten Worten die Hände beinahe segnend in die Höhe]

 

Szene 2  Der Beschluss des Königs

 

Trompeten- oder Hornsignal.

 

Herold [mit lauter, kräftiger Stimme]: Schaut, hört und staunt...! Verneigt euch in tiefster Demut vor Otto, König von Gottes Gnaden!

 

König Otto tritt – äußerst selbstbewusst – am Arm seiner jungen Frau Adelheid auf. Im Gefolge sehr würdevoll Bischof Drogo hinter und um die Königin scharwenzelt der junge Frodo. Notar Abraham tritt zunächst in den Hintergrund und stellt sich später an das bereitge­stellte Stehpult, um zu protokollieren. Heinrich und Liudolf erheben sich unwillig und verbeugen sich...

 

Heinrich [zischt in Richtung Hildegardis]: Wir sprechen uns noch... [zu Otto gewandt] Ich grüße dich Otto, mein König und Bruder [mit einer kurzen, selbstbewussten Neigung zu den Übrigen] Ich grüße auch euch, Königin Adel­heid [etwas weniger freundlich, ja reserviert] und euch Bischof Drogo...

Hildegardis [murmelt vor sich hin]: Ja, ja... wir sprechen uns noch... wir spre­chen uns noch... [als der Kaiser näher tritt und zu reden beginnt, bekreuzigt sie sich in seine Richtung gewandt]

Otto [geht auf Heinrich zu und umarmt ihn]: Heinrich, mein lieber Bruder. Ich soll dich von unserer Mutter herzlich grüßen. [er umarmt darauf Liudolf sehr herzlich, dieser entgegnet die Herzlichkeit nicht, sondern schaut finster auf seinen Vater und vor allem auf seine Stiefmutter] Mein Sohn, wir haben uns lange nicht gesehen, ich hoffe, dir geht es gut, und du fühlst dich bei den Schwaben wohl...

Liudolf [kurz angebunden]: Es geht so, Vater... 

Otto [lächelnd]: Immer noch der gleiche, sture Widerspruchsgeist. [er deutet auf die bereit gestellten Stühle] Aber wir wollen uns setzen. Wir sind nicht zum Plaudern her gekommen, sondern um wichtige Entscheidungen zu tref­fen. [man setzt sich, nachdem der König Platz genommen hat, Heinrich und Liudolf treten abseits und beäugen die Szene skeptisch, Otto wendet sich an den neben ihm sitzenden Drogo] Bischof Drogo, wir beschäftigen uns schon seit einiger Zeit mit dem wirtschaftlichen Ausbau des Reiches und mit der Festigung der Kirche unseres Herrn. Da sind uns Eure Anregungen hoch will­kommen; nennt uns nochmals Euer Begehren.

Drogo [erhebt sich und verbeugt sich in Ottos Richtung]: Mein König und Herr! Es gibt in unserem Bistum einen kleinen Ort namens Wiedenbrück, sehr malerisch an einer Schleife der Ems gelegen, der uns und Euch schon mehrmals Übernachtung auf den Reisen durchs Reich geboten hat. [Otto nickt lächelnd] Die fleißigen Bauern des Dorfes treiben Handel mit den umliegenden Dörfern und Städten und sind für ihre Tüchtigkeit und ih­ren Geschäftssinn bekannt. Und nicht nur dies, sie haben zudem einige kunstsinnige Handwerker in ihren Reihen, die sich auch auf die Verar­beitung von Metallen verstehen. Da sich Wiedenbrück an einer nicht ganz unbedeutenden Handelsstraße befindet, und auch für Eure weiteren Aufenthalte in der Gegend ein gewisser Ausbau des Ortes den Komfort erhöhen würde, wäre es durchaus wünschenswert, in Wiedenbrück einen Markt zuzulassen, und überdies eine Münze einzurichten. Die zu ent­richtenden Zölle und Abgaben, die Euch, mein König, zustünden, könnten im Säckel des Bistums viel Gutes zum Lob der Kirche und un­seres Herrn Jesus Christus bewirken...

Otto [leutselig und großzügig]: Nun denn, Drogo, gut gesprochen... Wir haben uns eingehend mit der Situation im Osnabrücker Land beschäftigt und Euer Begehren, das Dorf Wiedenbrück betreffend, geprüft. [er sinniert] Es taucht uns angenehm in der Erinnerung auf, das saubere Dorf und seine fleißigen Bewohner. [wieder mit Nachdruck] Und wir sind einig, Eu­rem Wunsch nachzukommen, zum Wohl der Kirche und zum Lobe Gottes, des Allmächtigen... Unser Notar Abraham wird mit Eurer Unter­stützung eine Urkunde aufsetzen, die ganz Euren Wünschen entspricht. [er deutet zu Abraham am Schreibpult und macht eine gönnerhafte Handbewegung] Geht nur und äußert Eure Wünsche!

Drogo [erfreut]: Gott, der Herr blickt gnädig auf Euch und Eure Großzügig­keit, mein König. [er tritt zu Abraham und spricht leise auf diesen ein, während Abraham mit großem Federkiel ein Stück Pergament beschreibt. Otto erhebt sich und tritt zu seinem Bruder und seinem Sohn – die drei unterhalten sich zunächst ruhig, später immer erregter; alle reden, jedoch so leise, dass man die Worte nicht verstehen kann]

Frodo [steht schon länger mit dem Blick auf die Königin in geziemendem Abstand, zart errötend, mit fragendem Ton]: Königin Adelheid? Ein wunderbarer Text kommt mir in den Sinn, wenn ich Euch anschaue.

Adelheid [ein wenig verwirrt und schüchtern lächelnd]: Ja Frodo? Welcher Text mag einem Menschen einfallen, bei meinem Anblick?

Frodo [tritt zögerlich einen Schritt näher; zart, aber doch mit Bestimmtheit]: Im Buch der Bücher, im Alten Bund...

Adelheid [fragend]: In der Bibel? Verse über mich?

Frodo [sofort, noch näher kommend]: Ja Verse, so wunderbar, als wären sie nur an Euch alleine gerichtet.

Adelheid [errötet und wehrt ab]: Das kann nicht sein! Nicht ich Unwürdige...

Frodo [kniet neben ihrem Stuhl; leise, aber mit Emphase]: Oh doch über Euch! Mein Bruder Johannes Tzimiskes, den unser Vater zum künftigen Kaiser über Byzanz bestimmt hat, zitierte die Worte bei seiner Verlobung der geliebten Braut. Worte aus dem Lied der Lieder, Verse aus dem Munde Salomonis...

Adelheid [unruhig-neugierig, mit Erstaunen]: Aus dem Munde Salomonis? Lasst hören...

Frodo [zuerst leise deklamierend, dann lauter werdend]:
„Du Schönste der Schönen,
du meine Liebste
bist schön.
Verborgen im Schleier
turteln die Tauben der Augen.
Die Ziegenherde der Haare ergießt sich
herab von den Höhen des Gilead.
Geschorene Schafe,
Zwillinge tragend und satt von der Schwemme,
das Weiß deiner Zähne.
Karmesinroter Schmuck deine Lippen,
ihr Wort und ihr Kuss.
Verborgen im Schleier
Granatapfelzartheit
der Frucht deiner Schläfen.
Dein Hals ist bewehrt
mit den Schilden, den Köchern der Krieger,
an Davids Turm.
Und – oh – wie sie spielen,
die Brüste, die kleinen,“

Adelheid [man merkt ihr an, dass ihr die drängende Zuneigung des jungen schönen Mannes gefällt; sie ist aber immer unruhiger geworden, weil die Umstehenden auf­merksam werden und neugierige Blicke zu ihnen werfen, fast flehentlich]: Frodo! Zähmt Eure Zunge!

Frodo [einmal in Fahrt, legt nun richtig los]:
„Zwillinge einer Gazelle,
die unter Lilien weiden.
Und der Tag legt sich schlafen,
so eile ich, eile,
zum Berge der Myrrhen,
zum lockenden Hügel des Weihrauchs.
Du Schönste der Schönen,
du Liebste:
Alles an dir ist makellos schön.“

Drogo [mit Schärfe in der Stimme]: Spricht so ein Edler aus byzantinischem Kaisergeschlecht mit der Frau König Ottos?

Frodo [ganz unschuldig]: Ich zitiere die heilige Schrift, ehrwürdiger Bischof.

Adelheid [genauso unschuldig und beinahe entschuldigend in Richtung Ottos]: Er zi­tiert nur Worte Salomonis aus der Bibel.

Drogo [etwas beruhigter]: Na wenn es das Hohe Lied Salomonis war, dann singt er nur von unserem Herrn Jesu und seiner Vermählung mit der heiligen christlichen Kirche. [er wendet sich wieder Abraham zu] Dann wol­len wir die Urkunde beenden.

Otto [tritt energisch von seinen beiden Verwandten an den Pult Abrahams, von dort]: Ja beendigt die Urkunde, dass ich sie unterzeichnen kann. [in Richtung Frodo und Adelheid, sehr milde] Und die jungen Leute sollen weiter aus der Bibel vortragen. [Otto bekommt nach einigen leise gewechselten Worten von Abraham den Federkiel in die Hand und setzt mit großer Geste sein Namenszeichen]

Heinrich [stößt  Liudolf in die Seite]: Sieht der alte verliebte Gockel denn nicht, was da passiert.

Liudolf [hämisch lachend]: Da soll’s mich nicht wundern, welcher Bastard mir ein Bruder wird...

Frodo [wie zuvor]:
„Mein Geliebter ist mein,
ich bin ewig sein,
er weidet unter den Lilien.
Der Tag schließt seine Augen,
so komm du, mein Geliebter,
sei die Gazelle,
springend vom Berg,
und liebe mich.“

Adelheid [sehr sanft, beinahe zärtlich]: Ihr sprecht so schön, so sanft... [beide schauen sich tief in die Augen] Ich könnte Euch Stunden lang lauschen, Frodo!

Otto [wendet sich  würdevoll an die Umstehenden]: So ist alles nach Unserem Wil­len geschehen. [Frodo und Adelheid zucken zusammen; Frodo erhebt sich und tritt einen Schritt zurück; Adelheid schaut huldvoll ihren Mann an] Adelheid, meine Liebste, ich hoffe, Frodo hat dich gut unterhalten...? [er eilt auf seine Frau zu und drückt ihr zärtlich die Hand, sie senkt verschämt den Blick] Nun denn...

 

Szene 3  Die Verlesung der Urkunde

 

Dieselben wie in Szene 2

 

Otto [steht majestätisch vor seinem Stuhl, er wendet sich zu Bischof Drogo]: Bischof Drogo, ich hoffe, Ihr seid zufrieden mit dem Ergebnis...

Drogo [tritt zwischen Abraham und Otto auf letzteren zu; verbeugt sich tief vor Otto, Kniefall]: Mein König, mein Herr...

Otto [macht eine abwehrende Handbewegung, aufgeräumt]: Drogo, Drogo! Gott, der Allmächtige ist unser Herr; ihm zum Lobe, nicht zu Unserer Ehre.

Drogo [erhebt sich wieder]: Ewig wird unser Allmächtiger seine Huld über Euch und Eure Nachkommen ausbreiten. Und wir werden alles [mit Nachdruck] alles zum Wohlergehen den Wiedenbrückern angedeihen las­sen.

Otto [sehr würdevoll]: Die Kirche ist unsere Bastion gegen das Böse; und so muss die Kirche das Fundament Unseres Reiches sein...

Heinrich [zischelnd zu Liudolf]: Da siehst du’s. Dein Vater macht die Kir­chensäcke voll und fett.

Liudolf [bösartig]: Den Pfaffen sollen die Brocken im Hals stecken bleiben...

Otto [voller Ironie zu seinen Verwandten]: Was fährt euch der Neid durch die Eingeweide. [schmunzelnd] Aus einem verzagten Arsch kommt nie ein kräftiger Furz. [die Beiden wenden sich empört ab]

Adelheid [mit – gespielter – Entrüstung]: Aber Otto! Die geistlichen Herren... und überhaupt...

Otto [tätschelt ihr zärtlich die Wange]: Ach Adelheid, meine Königin. Die der­ben Kerle verstehen nur ein derbes Wort. [er wendet sich wieder würdevoll an die Versammelten] Doch nun, Notar Abraham! Verlest die Urkunde allen hier zu Kund und Wissen. [mit einer aufmunternden Handbewegung,, während er sich wieder neben seiner Frau niedersetzt] Nun, lest schon!

Abraham [stellt sich in Positur und verliest mit lauter Stimme; während seiner Verle­sung wenden sich Heinrich und Liudolf erbost von der Szene  ab und treten zur Seite vor die Bühne mit dem Rücken zur Szene; Hildegardis steht langsam auf und tritt wie in Trance rechts an die Bühnenrampe, wo sie am Ende der Verlesung anlangt und wie irr mit leeren Augen ins Publikum blickt]: Im Namen der heiligen Dreifaltigkeit geben wir, Otto – König aus Gottes Gnade – [Abraham verneigt sich in Richtung Ottos] allen jetzigen und zukünftigen Untertanen folgendes zur Kenntnis:

      Der Bitte des ehrwürdigen Bischofs Drogo von Osnabrück, in dem Ort „Wiedenbrück“ eine Münze und einen öffentlichen Markt zuzulassen, wird entsprochen. Zu unserem Seelenheil soll Kraft königlicher Autorität dem Bischof Drogo von Osnabrück und all seinen Nachfolgern der dem König zustehende Zoll und Gewinn sowie alle Abgaben aus Münze und Markt in vollem Umfang zustehen.

      Mit Nachdruck bestimmen wir, dass keine juristische Gewalt je diese Voll­macht stören soll oder den Wiedenbrückern sonstige Abgaben auf­erlegen kann; ja im Gegenteil, dass nur der Bischof und seine Nachfolger ohne jegliche Abzüge in den Genuss dieser Finanzmittel kommen soll.

      [bedeutungsvolle Pause – er deutet ehrfurchtsvoll auf den unteren Rand der Urkunde] Siegel und Unterschrift des Königs, verkündet am 7. Juni 952, im 16. Jahr der Königsherrschaft Ottos, verhandelt und geschrieben zu Dorn­burg.

      Und ich, [nun deutet er voller Stolz auf sich] Notar Abraham, habe diese Ur­kunde in Vertretung des Erzkanzlers Bruno gegengezeichnet. [er verneigt sich zunächst in Richtung Ottos, dann in Richtung Drogos, während er die Urkunde langsam zusammenrollt und Drogo überreicht, dann tritt er bescheiden einige Schritte zurück]

Otto [erhebt sich würdevoll; er nickt seiner Frau zu, und Adelheid erhebt sich ebenfalls]: Danke! Dank allen, die heute diesen Tag zu einem wichtigen in meiner Regierungszeit gemacht haben. Und Danke auch [er blickt zum Himmel] und vor allem unserem Höchsten [er hebt bei den letzten Worten die Hände zum Himmel, die Umstehenden bekreuzigen sich], der uns alle auf unseren Wegen begleitet. [er verharrt einen Moment und wendet sich dann mit großer Geste zum Gehen, indem er nach Wiedenbrück deutet] Lasst uns aufbrechen. Zum ersten Markt auf dem Kirchenplatz in Wiedenbrück... [nach einer kurzen Pause mit einer kleinen zärtlichen Geste zu Adelheid] Und hernach weiter ins Kloster Corvey. Dort wollen wir uns mit den geistlichen Herren des Rei­ches treffen, um uns auf die Geburt des Thronfolgers vorzubereiten. [er bietet der strahlenden Adelheid den Arm und schreitet, gefolgt von allen außer Hein­rich und Liudolf, während der folgenden Weissagung der Hildegardis langsam davon, vornweg die Bewaffneten nebst Herold – gefolgt vom Volk]

Liudolf [wendet sich wütend den Kopf schüttelnd an Heinrich]: Sie ist also doch schwanger und soll den Thronfolger gebären... [böse lachend] Den Thronfolger, wir werden ja sehen...

Heinrich [spricht fast gleichzeitig vor sich hin]: Was hat mein Bruder nur mit der Geistlichkeit des Reiches vor, was braut sich da hinter unserem Rücken zusammen? [kopfschüttelnd] Ja... [grübelnd] Was soll dies westfälische Bauernopfer?

Hildegardis [steht nun ganz vorne rechts an der Bühnenrampe, hält das fast fertig ge­flochtene Seil wie einen Strick zum Fesseln in der Hand und raunt ins Publikum – Otto geht derweil würdevoll ab, den kopfschüttelnden Drogo und den tänzelnden Frodo im Gefolge]: Nichts als ein grandioses Schachspiel ist die Weltgeschichte. Der Allmächtige spielt mit den weißen, das Böse mit den schwarzen Figuren. Und Ottos Schachzug schützt König und Königin vor den Schwarzen, vor dem Bösen. Es ist gut so, dass die Wiedenbrü­cker Bauern der Kirche unterstellt sind; sie werden’s nicht bereuen in den folgenden Zeitläuften. [sie holt tief Luft, beginnt leise und steigert sich im Folgenden in eine große Vision] Jahrhunderte werden vergehen... Viele Kö­nige und Bischöfe wird dies Land sehen... Große Kriege und Pestilenz sehe ich vor mir. Die Bauern werden eine Stadt bekommen; sie werden die Stadt befestigen; eine große Festung sehe ich vor mir, die dem Osnabrückischen Bischof Herberge in dreißigjähriger Kriegszeit bietet... [sie schaut mit leeren Augen in die Ferne] Die Stadt wird blühen und gedeihen; doch wird das Privileg Ottos den Osnabrückern nicht ewig zustehen, sie werden es den Paderborner Bischöfen abtreten müssen. Und nach weite­ren großen Kriegen, wo der Böse weit den Rachen aufreißt und die ganze Welt verschlingen möchte, wird die Glanzzeit Wiedenbrücks anbrechen. Die Stadt wird auf Brautschau gehen und sich für immer mit einer süßen Braut vermählen. [ganz verklärt] Und wenn dann ein neues Millennium anbricht, wird Frieden und Wohlstand dem Paar beschieden sein: [mit Nachdruck] Rheda-Wiedenbrück!

 

Schluss des eigentlichen Stückes    

[hoffentlich Applaus]

 

Nachspiel vor dem Theater  Die Einladung der hohen weltlichen Herrschaften

 

Während sich Otto I. mit Gefolge entfernt, treten die erbosten Ver­wandten Heinrich und Liudolf auf die Ehrengäste im Publikum zu.

 

Heinrich [verneigt sich tief vor König Clement dem Einzigen von Westfalen, dem Herrscher über Wiedenbrück]: Ich grüße Euch, König Clement...

Liudolf [Liudolf nähert sich in zugleich gebeugter Haltung dem ersten Bürger Wie­den­brücks, Jost Kleigrewe]: Und ich habe die Ehre, den ersten Bürger der Stadt, Jost Kleigrewe, zu grüßen...

Heinrich [mit lauter, fester Stimme zu den um König Clement gescharten Edlen]: Lassen wir meinen Bruder Otto mit seinem Gefolge ins Westfälische reiten... [schmunzelnd und mit generöser Handbewegung aufs alte Rathaus weisend] und uns bei einem kühlen Krug Bier erfrischen... Folgt mir, Ihr Edlen aus nah und fern... [er geht mit Liudolf in Richtung Bierfass ab; König Clement und der erste Bürger Wiedenbrücks, Jost Kleigrewe, folgen ihnen mit den Edlen aus dem Westfälischen und Osnabrückischen]  

fine  

[nihil perfectum]

 

 

 

 

© Dr. Rüdiger Krüger, Rheda-Wiedenbrück 2006
Kontakt: mailto:siegfriedcarl@hotmail.com
letzte Änderung: 25.07.06

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