LYRISCHE
MÄNNERPHANTASIEN
5. MHD. LYRISCHE MÄNNERPHANTASIEN UND
DER TOPOS 'PUELLA BELLA'
Dem selbständigen Erschließen der im Textteil versammelten
lyrischen Kostbarkeiten soll hier der Weg geebnet und einige Richtungsweiser
gesteckt werden. Nur bei wenigen Textbeispielen wollen wir ausführlicher
verweilen, wenn sie ein besonders bezeichnendes Licht auf die Entwicklung der
Schönheitsbeschreibung werfen, d.h. Gelenkstellen in der Entfaltung des Topos puella
bella darstellen, und wenn sie uns außerdem tiefere Einblicke in die
Wechselwirkungen zwischen den angesprochenen Herkunftsmöglichkeiten des Topos
und der mhd. Lyrik aufzeigen.
Angefangen werden soll jedoch mit der eingangs angesprochenen,
erotisch stimulierenden Wirkung bestimmter Körperteile; wobei ich zunächst den
Blick etwas ausführlicher auf ein nichthöfisches Beispiel aus der Heldenepik
lenken möchte, da hier der erotische Stimulus und das oben Gesagte über die
der Blickführung folgende Beschreibung, ausgehend vom die momentan größte
Reizwirkung ausübenden Körperteil, besonders augenfällig gemacht werden
können. Im 'Wolfdietrich D' kommt in Kap.VI der Held - nach einer Pilgerreise
ans Grab Christi - an den Hof des Heiden Belîân, der die schönste Tochter
hat, die man sich denken kann:
39
Man brâht die juncfrauwen mit sehzic megden dar.
sie lûht ûz in alse ein rôse ûz andern bluomen gar.
sie was alsô ein bilde daz schône entworfen sî
doch wonte ir grozen schoene lützel valsches bî.
Die Heidin Marpaly lockt mit Hilfe ihrer körperlichen Reize
Christen in ihr Schlafgemach, wo sie durch einen Schlaftrunk betäubt, ins Bett
gelegt, am nächsten Morgen von Belîân aufgefunden, geköpft und ihre Köpfe
als abschreckende Beispiele an die Turmzinnen gesteckt werden. Wolfdietrich
entbrennt in Liebe zu Marpaly - dies zeigen viele Äußerungen implizit - und
diese umgekehrt in Liebe zu ihm. Sie weist es jedoch ab, die christliche Taufe
zu empfangen; für ihn wäre es eine Todsünde, einer Heidin beizuschlafen.
Marpaly warnt ihn vor dem letztlich todbringenden Schlaftrunk, um ihn nicht zu
opfern, sondern mit ihm als erstem ein Liebesabenteuer zu erleben. Sie weiß,
daß er sie entsprechend dem gültigen Ehrenkodex danach ehelichen müßte.
Beider Erregung steigert sich im folgenden Gespräch, doch Wolfdietrich
widersteht allen Verlockungen, indem er auf das sündige Verhältnis mit einer
Nichtchristin verweist. Doch nun greift Marpaly zum äußersten Mittel: sie
entblößt sich, da sie weiß, daß er mit natürlichen Kräften ihrer
weiblichen Nacktheit nicht widerstehen kann - zudem stürzt sie sich auf
Wolfdietrich, versucht ihm ihren Körper aufzuzwingen, ihn zu vergewaltigen.
Seine letzte Rettung in höchster sexueller Erregung und damit in größter
moralischer Notlage ist ein Stoßgebet zu Maria, die darauf einen Engel schickt,
der seine geilen Gelüste vertreibt:
106
Dô lac in grôzen sorgen der ûz erwelte man,
dô rief er unser frouwen flîzeclîchen an
'troesterin aller sünder, milt muoter, reiniu meit,
lâ dir mînen kumber hiute wesen leit'.
107
Daz erbarmte unser frouwen, sie sante ein engel dar:
dô wart Wolfdietrîch alles glustes bar.
er lac in den gebaerden als in ein tou het übergân:
'juncfrouwe, deckent iuwern lîp, der glust hât mich verlân'.
Seine Gelüste sind vergangen und Marpaly kann demnach ihren
wunderschönen, nackten Körper wieder bedecken. Für unseren Zusammenhang ist
die Entblößung des wunderschönen Körpers und die Beschreibung dessen, was
Wolfdietrich erblicken durfte, wichtig:
99
'Sint ir dann minnebaere, sô twinge ich iu den lîp'.
dô lôste ein sîdîn hemde daz hôchvertige wîp
von dem übermüeder al umbe unde über al.
sie liez den lîp blecken die sîten hin ze tal.
100
Er sach zwô smale sîten, zwei hôhe hüffelîn,
zwên hole fuez, zwei slehtiu bein: waz möhte bezzer sîn?
sie was an dem lîbe als milch und bluot getân:
dô wart Wolfdietrîch sô tiuvellîchen stân.
101
Er sach ein rôtez mündelîn, zwei spilendiu ougen klâr:
ir wenglîn unde ir hiufel wâren rôsenvar.
sie was an dem lîbe, man möht niht schoeners sehen.
sie sprach 'er ist ein saelic man, dem liep von mir sol geschehen'.
102
Dô sprach diu heideninne 'sint ir ein biderman,
sô grîfent weckerlich dar zuo, dâ man iu der minne gan.
tuont ez durch iuwer tugent und durch iur werdekeit
und lânt iu mînen stolzen lîp hie niht wesen leit'.
Zweierlei ist an dieser Beschreibung bemerkenswert:
Da wären erstens die Varianten der hsl. Überlieferung, was die
Anzahl und Art der beschriebenen Körperteile anbelangt, zu nennen. Wenn Hss. a
und c als 100,3 'er sach an irme libe ein brunes fleckelin an ([...]
hubschen flecken brun)' und Hs. f als Zusatz nach 101,2 'Sie het zwey
hertte brüsztlein weiss als der sne Do geschach dem Ritter ausser massen
we' bringen, so zeigt sich darin in einem Teil der Überlieferung ein bewußtes
Durchbrechen der negativen Sanktionierung einer Gesellschaft, die sexuell
konnotierte Körperteile tabuiert - die Umschreibung der Scham als brauner Fleck
unterstreicht dies noch. Dass Hs. f zudem 100,4 abschwächt, 'das sach
wolffdieterich mit seinen augen an', das Wirken zauberisch-teuflischer Kräfte
der Heidin also zugunsten einer unverfänglicheren, realistischen Aussage
entfernt, beweist im kleinen, wie der Rezeptionskontext, d.h. das Wertesystem
von Bearbeitern und Publikum Texten neue Nuancierungen verleihen kann. Der
zitierte 'Wolfdietrich D' ist gegenüber dem früheren 'Wolfdietrich C' die
sowohl stilistisch wie auch inhaltlich höfisch überarbeitete Fassung. Im
knapperen 'Wolfdietrich C' schrumpft die Beschreibung auf drei Körperteile:
569
Sie stuont für in anz bette, diu künegîn hôchgemuot.
si legte it schoeniu brüstel ûf den fürsten guot.
wîz wâren ir hende, entdecket was ir scham:
[...]
Ihre Brüste berühren Wolfdietrich, der im Bett liegt, ihre
Hände wohl auch und ihre Scham lädt ihn ein - so sind diese Verse wohl zu
verstehen. Haptisch werden uns die sexuellen Stimuli des nackten Frauenkörpers
und eben nur diese vor Augen geführt. Erst vor der Folie dessen, was in der
Heldenepik möglich war, können die vor dem gleichen Publikum vorgetragenen
höfischen Minnegedichte richtig bewertet werden.
Zweitens muss auf die Abfolge der Beschreibung abgehoben werden.
Ich habe schon oben darauf hingewiesen, dass sowohl die Abfolge der klassischen personarum
descriptio a corpore als auch die im HL-'Frühlingszyklus gebotenen entweder
die "natürliche" Reihenfolge von der Blickhöhe des Augenkontaktes
aus abwärts oder eine situationsgebundene Reihung, beim Tanz von den Füßen
aus aufwärts, bringen; wobei der Ausgangspunkt zudem jeweils nicht, oder wegen
der Situation momentan nicht, von der Kleidung verdeckt ist. Die natürliche
Reizwirkung der Augen bzw. des Gesichts oder die situationsabhängige scheinen
beim Ausgangspunkt der Körperbeschreibungen eine nicht zu unterschätzende
Rolle zu spielen. Im 'Wolfdietrich' ist von der Situation des Entkleidens - sie
löst ein seidenes, wohl am Hals oder den Schultern geknüpftes Nachthemd und lässt
es langsam herunterfallen - die Blickführung vorgegeben: die schmale Taille,
hohe Hüften/Becken, gewölbte Füße und gerade Beine werden benannt, der 'hubschf
flecken brun' am Leib ist damit umkreist, erst darauf folgen der rote
Mund, die klaren Augen, Wangen und Backen, beide rosenfarben - worauf Hs. f noch
die Brüste anschließt.
Zur Richtigstellung muss hier jedoch folgendes betont werden: es
handelt sich bei dem vorgestellten Beispiel um anonym überlieferte Heldenepik,
der Autor und jeweilige Bearbeiter kann sich mehr noch als ein sich namentlich
nennender höfischer Epiker hinter der Aventiure, der Überlieferung verbergen.
Zudem handelt es sich bei der hier nackt vorgeführten Schönheit um eine
Heidin, die ihre körperlichen Reize in teuflisch-verführerischer Weise
ausspielt. Dass dies im höfischen Roman anders ist und Nacktheit dort als
sexuelles Reizmittel eine untergeordnete Stellung gegenüber den vielen
Beschreibungen höfisch gekleideter und sich höfisch gebärdender Damen
einnimmt, ist bekannt, wenngleich viele kleinere Gegenbeispiele die Meinung,
"dass der erotische Reiz des nackten Körpers in der höfischen Dichtung
keine Rolle zu spielen scheint", - hier im übrigen auch auf die Lyrik
bezogen - als überzogen erweisen.
Für die Lyrik sieht das Phänomen aus diversen Gründen
nochmals ganz anders aus. Die Identifikation des vorgetragenen Liedes mit dem
Vortragenden, sei es nun der Autor oder ein Sänger, welcher das Lied in sein
Vortragsrepertoire übernommen hat, durch das Publikum liegt hier wesentlich
näher. Dies gilt in nochmals verstärktem Maß für Liebeslyrik, da hier
Gefühle, innere Zustände und Befindlichkeiten scheinbar am unmittelbarsten zum
Ausdruck gelangen. Den meisten Zuhörern/Lesern von Liebeslyrik darf man wohl
heute wie auch dem breiteren höfischen Publikum des MAs den Sinn für die
Trennung von lyrischem Ich - übrigens einer Entdeckung des frühen
20.Jhs - und Autor-Ich, für die von der modernen Lyrikforschung meist
postulierte fundamentale Diskrepanz zwischen lyrisch gestalteter Wirklichkeit
und der Realität beim zumeist im guten Sinn "naiven" Zugang zur Lyrik
absprechen. Ein bewusst handelnder Autor wird dies stets mitbedenken.
Andererseits gilt für das MA genauso wie heute, dass ein kleiner, esoterischer
Kreis "Eingeweihter" mit den tradierten Bildungsgütern, rhetorischen
Formen und Formeln etc. vertraut war, und somit die jeweiligen Anverwandlungen,
Variationen, neuen Situationseinbettungen und evtl. bewusste Regel-Verstöße
oder -Umkehrungen als besondere ästhetische Reize wahrnahm.
Durch die hohe Stilisierung der Minnelyrik ist die Gefahr der
angedeuteten Gleichsetzungen und Grenzverwischungen weniger groß, aber dennoch
latent vorhanden - vollends wenn entsprechende Situationseinbettungen wie in
Walther Sie wunderwol gemachet wîp (L 53,25) einen realistischen
Grundton einbringen. V.a. die ältere Altgermanistik ging über weite Strecken
von einem auf eine genau identifizierbare Person zielgerichteten, einer im
Publikum anwesenden Frau geltenden Liedvortrag aus - sicherlich war dies sogar
manches Mal der Fall und wenn nicht, so mag zumindest der eine oder andere
Anwesende eine solche Beziehung vermutet haben. Unter Einrechnung dieser
potentiell vorhandenen Direktheit verwundert die sublime Aussageweise über das
Kulturphänomen der höfischen Liebe, die uns in der Minnelyrik des
Hochmittelalters begegnet, nicht. Die Affektreduzierung, die sich im Umgang mit
Topoi, festen Bildern und Metaphern, mit standardisierten Situationen, in der
Charaktisierung des in dieser Lyrik vorkommenden weiblichen Personals, sei es
nun als wîp, maget, frouwe, magedîn oder frouwelîn
- aber in der hochhöfischen Minnelyrik nie mit einem Namen - bezeichnet,
manifestiert, lässt durch ihre indirekte, verhüllende Sprache der Imagination
des Publikums besonders großen Raum, führt also in der Rezeptionswirkung zu
einer Steigerung der Affekte. Der platte Realismus in der Frauenschilderung des
'Wolfdietrich' lässt der Phantasie keinen Raum, die pure Nennung des
lieblichen, zuckersüßen und roten Mundes als häufigstem pars pro toto
der Minnelyrik des 13.Jhs, mit seinen Umschreibungen als Rose, rot wie Rubine,
wie Blut, feuriger Zunder oder gar Pfeffer, öffnet die Tore der Phantasie weit.
Das stärkste, am reichsten mit Bildern ausgeschmückte Lob des
schönen Frauenmundes finden wir bei Reinmar von Brennenberg (KLD 44.IV,1):
1
Ir munt der liuhtet als der liehte rubîn tuot,
sam er sich het gejunget als der fênix in dem viure.
er ist noch heizer danne ein sinder von der gluot
und eitet alse eins traken giel, sîn lachen ist gehiure;
5 er gneistet alse ein viurstein snel.
wan solt mîn munt sîn zunder sîn biz er die minne enpfienge:
er brinnet alse ein vakkel hel
und gêt ûf alse ein roeselîn: wie wol ez mir ergienge!
dâ draejet ûz ein balsme, der des hât gewalt,
10 der widerjunget unde wirt ouch niemer alt;
swem si wont mit rehten triuwen staete bî,
dem wehset niemer grâwez hâr und wirt ouch aller sorgen frî.
Der Mund - dies zeigt die zitierte Strophe Reinmars von
Brennenberg implizit - kann für die mhd. Lyriker als wichtigster erotischer
Stimulus bezeichnet werden. Besonders prägnant kommt dies bei Gottfried von
Neiffen (KLD 15.[XXXIV],2/3) zum Vorschein:
2
Ich sach einen rôten munt
lieplîch lachen gein mir senden: des ist niht ze lanc.
dâ von wart mir fröide kunt
(trûren swachen kan si), dô daz in mîn herze dranc.
5 ich muoz singen: des wil twingen mich ein wîp
und der künc, dar zuo ir triutelehter lôser lîp.
3
Owê roeselehter gruoz,
wie du lachest, sô du herzeliebe lachen wilt;
dâ wirt sender sorgen buoz.
sô du machest daz diu liebe gein der liebe spilt
5 nâch gewinne, da ist eht Minne nâhe bî
unde machet zwei geliebe herzenswaere frî.
Daneben treten die Augen in gleicher Funktion auf, neben den
Beispielen im Textteil mögen einige dort nicht aufgenommene frühe Belege bei
Ulrich von Gutenberg als Beweis dienen; der erste aus einem Minnelied, die
folgenden aus seinem herrlichen Minneleich:
MF 78,21ff:
ich was wilde, swie vil ich doch gesanc,
ir schoeniu ougen daz wâren die ruote,
dâ mite si mich von êrste betwanc.
MF 69,19f:
der schîn, der von ir ougen gât
der tuot mich schône blüejen,
MF 71,31f:
ich hupf ir ûf der verte nâch.
mich leit ir süezen ougen schâch,
MF 72,2ff:
der ougen blicke mich vil dicke mîner sinne roubent
die vürhte ich als den donerslac,
dem ich entwenken niene mac.
MF 76,21f:
der ougen schîn den kumber mîn, den ich nû lange lîde,
mit einem blicke tuot verselt.
Augen und Mund als Stimuli vereint finden wir z.B. bei Rudolf
dem Schreiber (KLD 50.I,1,1-4), wobei aus Reimgründen wohl die Augen mit der
Braue angedeutet werden:
1
Ein mündel rôt, zwo brûne brâ
hânt mich verwunt nicht anderswâ
wan in das herze mîn, aldâ
diu minne wont mir alze nâ.
Im folgenden Beispiel wird das Voranstehende unterstrichen, d.h.
nochmals den Stimulanzcharakter von Mund und Augen hervorgekehrt. Beim von
Obernburg finden wir zudem offen ausgesprochen, was oben angedeutet wurde und
was auch in den zitierten Versen Gottfrieds von Neiffen sowie bei Reinmar von
Brenneberg schon zum Ausdruck kam. Mit der Erwähnung von einzelnen
Körperteilen ist stets auf den ganzen Körper der Geliebten hingewiesen, d.h.
die Phantasie des Publikums wird angeregt, sich diesen zu vergegenwärtigen.
Durch die Refrainverdopplung wird im folgenden Lied des von Obernburg (KLD
40.VII) diese Wirkung verstärkt:
1
Ich bin in mîn herze wunt.
daz tet mir ein saelic wîp.
niemer mê wird ich gesunt,
mich entroeste ir reiner lîp.
5 ir vil liehten ougen schîn
unde ir rôsevarwer munt
hant verwunt daz herze mîn.
2
Waeren alle wünsche wâr
unde haete ouch alle kür,
sô sprich ich daz âne vâr,
dâ naem ich die lieben für.
5 ir vil liehten ougen schîn
unde ir rôsevarwer munt
hânt verwunt daz herze mîn.
Die Menge der benannten Stimuli ist erweiterbar, bleibt aber
zumeist auf den Kopf beschränkt. Als letztes Beispiel sei nochmals Gottfried
von Neiffen (KLD 15.[XLVI],3,3f) zitiert:
ir brûnez hâr, ir ougen klâr,
ir rôter munt hât mich verwunt biz an den grunt,
Der Mund, die Augen, die Wange, das Kinn und evtl. noch die
Haare oder der Hals/die Kehle entwerfen das Gesicht der Frau, das - wie oben
schon angemerkt - stets den Seelenzustand widerspiegelt und zugleich auf
ethische wie physische Vollkommenheit verweist. In den Liedern Heinrichs von
Morungen - die in unserer Textsammlung einen besonders breiten Raum einnehmen -,
der in der Minnelyrik vor Walthers von der Vogelweide sog. 'Mädchenliedern'
eine Ausnahme darstellt, begegnen uns alle genannten Gesichtspartien außer den
Haaren, wobei der Hinweis auf die Schönheit des gesamten Frauenkörpers stets
mehr oder weniger direkt zum Ausdruck kommt. Wie bei Wolframs von Eschenbach
Tagelied (L 3,1) - auch einer singulären Erscheinung -, in dem sich eine
wunderbare Unbefangenheit im Umgang mit natürlicher Körperlichkeit zeigt, die
zudem in ein herrliches Bild gegossen ist, lässt sich bei Heinrich von Morungen
schon früh ein sehr realistischer Grundton feststellen. Man vergleiche zu
Wolframs Tagelied die Entsprechung in Morungens Owê, sôl aber iemer mê
(MF 143,23), mit dem gleichen Grundtenor aber noch verhüllender in der Sprache
als Wolfram - für die Imagination des Zuhörers/Lesers jedoch umso anregender.
Der Weg der Entfaltung des Topos puella bella in der
Minnelyrik des 12. und 13. Jhs, mit einem Ausblick auf das Spätmittelalter, sei
nun kurz skizziert. Es fällt zunächst die Benutzung der Versatzstücke der
Kopfbeschreibung als pars pro toto in der frühen Minnelyrik auf: Typ
III.b. Der Umgang mit den einzelnen Begriffen aus Typ II und III wird freier bei
den staufischen "Klassikern", hier folgt nun auch der Durchbruch bei
Walther von der Vogelweide in seinem berühmten 'Frauenpreislied' (L 53,25), das
sehr rein den Typ II.a repräsentiert - bei Walther in vielen Minneliedern wie
auch in manchem politischen Spruch weitere Belege für Frauenbeschreibungen,
v.a. des offensten und üblichsten Typs III.b. Die frühen sog.
"Epigonen" zeigen ein äußerst freies Spiel mit den nunmehr zum
Standard-Repertoire gehörigen Kopfbestandteilen und einzelnen weiteren
Körperteilen. Darauf folgt dann um die Jahrhundertmitte die vollständige
Ausgestaltung des Topos puella bella, Typ I.b, beim Tannhäuser (Si XI).
Das ausgehende 13. und beginnende 14.Jh. bringt bei den späteren sog.
"Epigonen" nur noch die hinweisende Wiederaufnahme der
unterschiedlichsten Versatzstücke, die nun wohl stets auf die durch den
Tannhäuser und vorher durch Walther bekannten vollständigeren Typen I und II
verweisen. Die folgenden Jahrhunderte bringen nichts Neues, außer daß die
Sprache im Bereich der erotisch konnotierten Körperlichkeit derbere Formen als
je gekannt zuläßt.
In der frühen Minnelyrik wie bei den "Klassikern"
stehen v.a. die Versatzstücke der Kopfbeschreibung mit entsprechend
standardisierten Farbadjektiven - wir haben auf die Um- und Beschreibungen des
Mundes schon hingewiesen - im Vordergrund (Typ III.b). Die größte Ausnahme
bilden, wie schon erwähnt, Wolfram mit seinem Tagelied (L 3,1), in dem die
Liebesvereinigung des Paares in einer Verschränkung der beiderseitigen
Körperteile von Kopf bis Fuß dargestellt wird.
Bei Walther (L 53,25) begegnet uns, ähnlich dem HL, das zwei
Strophen lange Beschreiben der Kopfpartie. Darauf folgt eine Unterbrechung der
Beschreibung durch den Fetisch-Wunsch nach einem Kissen der Geliebten, der
jedoch erst in Str.4,4 deutlich wird, da durch die Mehrdeutigkeit von mhd. küssen
in Verbindung mit dem Farbadjektiv rôt bis Vers 3 nicht klar ist ob ein
"Küssen" oder "Kissen" für den eigenen Mund angestrebt
wird. In der 5.Str. kommt Walther auf die Beschreibung zurück und kommt nun auf
Kehle, Hände und Füße zu sprechen, um dann jedoch zu bekennen, auch das
"Dazwischen" gesehen zu haben, weil er doch die Frau nackend aus dem
Bade(-Zuber) hat treten sehen. Interessant ist, wie die Beschreibung Walthers
neben den Anklängen an das HL beinahe paraphrasierend die oben zitierte Regel
Galfreds von Vinsauf befolgt: "Taceo de partibus infra:/Aptibus hic
loquitur animus quam lingua" und es der Imaginationsfreude des Publikums überlässt,
sich das zu lobende enzwischen auszumalen, das er im Bekenntnis der
"Schlüsselloch-Szene" so beredt verschweigt.
Wo bei Walther eine Nähe zur Rhetorik-Tradition Galfreds
festzustellen war, die sich in Typ II.a auswirken musste, lässt sich beim
Tannhäuser (Si XI) in der dem HL-'Frühlingszyklus' direkt vergleichbaren
Tanz-Situationseinbettung ein sehr enges Rezeptionsverhältnis zum HL vermuten,
das sich in der nichts verschweigenden Ausführung des Topos puella bella
Typ I.b niederschlägt: Locken, Mund, Augen, Wangen und Hals, nochmals das Haar,
darauf die gedrechselten Brüste und das sitzel, das seine Nähe zum
"Sitzfleisch" nicht verbirgt und wohl adäquat nur mit "Ärschlein"
widergegeben werden kann. Nach einer revocatio - denn die Bitte, das
letztgenannte Körperteil erblicken zu dürfen, ging ja wohl doch zu weit -
folgt in der 3.Str. die Beschreibung von unten nach oben: die Zehen (und der
Blick auf die schöne Figur insgesamt) - wohl durch die Tanzimagination
mitgelenkt -, Füße, Beine, Schenkel, Scham und wiederum das sitzel.
Alle diese Körperteile sind in ihrer Diminutivform und dadurch verkünstelt
klingend vorgestellt, dies wird jedoch durch das jedem Körperteil jeweils
beigegebene epitheton ornans sinnlich (optisch oder haptisch)
wahrnehmbarer Art wieder in die Realitätsebene gerückt. Dies Wechselspiel und
die unterkühlte Nachnennung der Hände und Finger in der ganz in die Tradition
des hohen Minnesangs gerückten abschließenden Strophe, welche die
phantasievoll-erotische Ekstase der 2. und 3.Strophe relativiert, entlarvt den
parodistischen Grundton des ganzen Liedes.
EXKURS: zu Neidhart.
Eine Sonderstellung, auf die stets hingewiesen wird, und die
wohl auch seinen besonderen Reiz für die Zeitgenossen, wie auch für uns
Nachgeborene ausmacht, nimmt Neidhart in der ersten Hälfte des 13. Jhs ein.
"Das Neue und Ungewohnte, ja Unerhörte, was er als seinen
unverwechselbaren Beitrag liefert, ist, dass er die Frage der Begegnung der
Geschlechter in eine Ebene verlegt, die man bisher - mit Ausnahme des etwa um
eine Generation älteren, aber mit Neidhart durch rund zwei Jahrzehnte
zeitgenössischen Walther von der Vogelweide - nicht gesehen hat oder nicht
hat sehen wollen."
Nun beschreibt Neidhart selten die Schönheit der in seinen
Liedern vorkommenden Frauen, seien es die typische 'Alte', die 'Tochter' oder
sonst eine der oftmals namentlich genannten Bauernmädchen, nach den in dieser
Studie vorkommenden Mustern. Da er das Geschlechterspiel einerseits in den
Bereich der bäuerlichen Welt verlegt, es jedoch andererseits auch als
Konfrontation zwischen feudalem Rittertum, abgesunkener Ministerialität und
nach oben strebendem Bauernstand beschreibt, und in ein Dreiecksverhältnis
zwischen Ritter und Bauernburschen sowie dem umworbenen Mädchen münden lässt,
liegt ihm ästhetische Stilisierung fern. Derb - für die Forschung des 19.
Jhs oftmals zu derb - beschreibt er alle Einzelheiten der dörflichen
Szenerie, in welcher sich das Liebeswerben abspielt, das Liebeswerben selbst,
sowie an einigen Stellen gar den Liebesvollzug.
Dass neben Walther von der Vogelweide, und von diesem sehr
wohl bemerkt, solches Singen Erfolg hatte, zeigt nicht zuletzt die
reichhaltige Tradierung von Texten und Melodien Neidharts, sowie die
Übernahme Neidharts als literarische Figur im Spätmittelalter. Und auch
Walther hat Notiz von dieser so gar nicht höfischen Sangeskunst genommen und
sie in L 64,31 auf das Schärfste zurückgewiesen:
1,1f
Owê, hovelîchez singen,
daz dich ungefüege doene
Solten ie ze hove verdringen!.
daz die schiere got gehoene!.
5,7f
bî den gebûren liez ich si wol sîn:
dannen ists och her bekommen.
Die in unsere Sammlung aufgenommenen Texte geben nur einen
kleinen Einblick in die Derbheit des Sprechens über Erotik und Sexuelles bei
Neidhart. Sie zeigen jedoch andererseits auch, wie raffiniert, ja mit welcher
poetischen Meisterschaft in Form, Bild- und Metaphernwahl und in der Tektonik
der Texte der dörperliche Antipode Walthers sich zu Wort meldet. Er bereitet
mit der Offenheit seiner Aussage letzthin den Boden für Texte wie das 'Lob
der guten Fut'.
Einige über das 13.Jh. hinausweisende Texte mögen sowohl das
Fortleben des Topos puella bella als auch die spätmittelalterliche
"freiere" Einstellung zur Nacktheit demonstrieren. Bis hin zum
Liederbuch der Klara Hätzerlin (I.59) - sehr derb im Preis der aus allen
deutschen Landen zusammengesetzten Schönen (fol.1, Nr.7) - und zu Oswald von
Wolkenstein (Kl 61) führt uns die Verfolgung des Topos in der mittelalterlichen
Lyrik. Wo beim Tannhäuser der Gedanke an ein sinnenfrohes Weihnachtsfest die
erotische Phantasie auslöst, geschieht dies beim in die Renaissance weisenden
Oswald von Wolkenstein aus Anlass eines Neujahrsgrußes an die Geliebte in einer
vergleichbaren, nur knapperen und salopperen Darstellung des Typs I.a.
Ein derb-obszöner, ins Pornographische weisender Text der
Gattung 'Minnereden', der die Schönheitsbeschreibung des Topos puella bella
nur nutzt, um das weibliche Geschlechtsorgan möglichst ausschweifend loben zu
können, soll die ganze Spanne des Körperpreises, zu der das Spätmittelalter
fähig ist, ausmessen. V.a. vor der Folie des überschwänglichen Mund-Lobs bei
Reinmar von Brennenberg (KLD 44.IV,1) wird die Derbheit des hier gebotenen fud-Lobs
augenfällig.
Georg Greflinger soll uns als kurzes Beispiel des
Wiederauflebens poetischer Traditionen in der Regelpoetik des Barock, aber auch
des Weiterlebens der HL-Bildlichkeit, und damit des Topos puella bella und
der in dieser Hinsicht willkürlichen Grenze zwischen Mittelalter und früher
Neuzeit dienen.
Die Ausführungen zur mal. Entfaltung des Topos puella bella
sollten einige Marksteine für die Lektüre der mhd. Lieder und das Erkennen der
darin verborgenen Männerphantasien über die Schönheit des Frauenkörpers
sein. Mir bleibt nur noch, viel Freude bei dem Erschließen dieser Glanzpunkte
deutscher Lyrik zu wünschen.
Anmerkungen
[Die folgenden Anmerkungen werden in Kürze dem Text
zugeordnet!]
Vgl. Dt.Heldenbuch, Bd.4.
Vgl. Dt.Heldenbuch, Bd.3.
Siehe hierzu den Holzschnitt zu dieser Szene aus
einer Inkunabel auf dem Einband unseres Bandes. Hier bietet die auf dem Bett
liegende Marpaly Wolfdietrich mit der Hand die Brust dar, ihr Leib ist einladend
bis zur Scham entblößt.
Steinberg (1930/34) S.49; hier S.47 zum
'Wolfdietrich': "ein merkwürdiges Nebeneinander von streng christlicher
Moral und lebhaftem Empfinden für die Schönheit und die sinnlichen Reize des
weiblichen Körpers zeigt die kühnste Nacktheitsschilderung der mhd. Epik, die
Verführungsszene im Wolfdietrich".
Zu den Gegenbeispielen vgl. v.a. die Auflistung
der Fälle für die verschiedenen Körperteile des weiblichen Ideals in: Köhn
(1930) S.92ff.
Ich klammere bei meiner Analyse Autoren wie
Neidhart aus; hier handelt es sich nicht mehr um höfische Minnelyrik im
eigentlichen Sinn des Wortes, die angesprochene Direktheit ist zudem gebrochen,
wenn dem höfischen Publikum in derb-realistischer Weise ein Spiegel vorgehalten
wird, der sie verzerrt im Bauernmilieu widergibt. Interessanterweise spielt die
Beschreibung des nackten weiblichen Körpers, wie auch einzelner Körperteile
bei Neidhart eine völlig untergeordnete Rolle.
Vgl. hierzu als bis dahin einzige Ausnahme:
Walthers 'Hildegunde' in L 74,19; es darf aber wohl mit Fug und Recht bestritten
werden, dass es sich bei diesem im Reim auf wunde stehenden Personennamen
um eine identifizierbare Person handelt. Nochmals ganz anders sind die vielen
männlichen wie weiblichen Namensnennungen bei Neidhart (siehe im Textanhang
(29.) S.84ff und in der Studie S.150f) zu bewerten. Wiewohl es sich gerade bei
ihm aus der Rezeptionssicht des 13.Jhs um identifizierbare Personen handeln mag,
müsste eine Generalisierung auf die Verhältnisse des höfischen Minnesangs in
die Irre gehen.
Zu den Benennungen des .Mundes in der Minnelyrik:
Gellinek (1971) S.15 listet nach der Kuhnschen
Auswahl (aus KLD) 72 Nennungen von Mund (gegenüber 4 Brust-Nennungen)
auf. In SMS sind von 104 auf die Frau bezogenen Nennungen von Mund - die
höchste Zahl des Vorkommens eines Körperteils überhaupt - und seiner
Ableitungen (Plural, Diminutiv etc.) 69 mit rot, 11 mit roselecht/rosenvar,
4 mit rosenrot und 11 mit keinem oder anderen Beiwörtern geschmückt;
wobei häufig mehr als ein Beiwort steht, vgl. Janssen (1984) S.474-477.
Interessanterweise erscheint hier nur bei Hadloub SMS XXVII, 53,21 in einer
Frauenbeschreibung brüstel eindeutig als Schönheitsindiz. Die
gewagtesten Konstruktionen von Beiwörtern finden wir in KLD 58 bei Ulrich von
Lichtenstein passim: kleinvelrôt, kleinvelheizrôt und kleinvelhitzerôt.
Die interessantesten Beispiele aus MF sind in
unsere Textsammlung eingegangen. Zu weiteren Beispielen aus höfischer Epik,
Heldenepik und Minnelyrik vgl.: Köhn (1930) S.99-101 in den Anmm.
Als kleiner Traditionshinweis sei hier auf
Walthers von der Vogelweide L 53,25ff 'Si wunderwol gemachet wîp' verwiesen
(oben S.42ff), in welchem in Str. 4,1 das 'küssen' eben sowohl als nhd.
'Kissen' als auch 'Küssen' zunächst verstanden werden kann. Die bei Walther
vorhandene Ambivalenz wird bei Reinmar von Brennenberg ganz auf den Mund und
damit auf das Küssen eingeengt.
Zitiert nach Schweikle.
In diesem Minnnegedicht reimen die 7-versigen
Strophen jeweils männlich durchgehend auf einen Vokal in der Folge des
Vokaldreiecks: â - ê - î - ô - û.
Vgl. dasselbe Vokalreimspiel in Walthers Diu
welt was gelf, rôt unde blâ (L 75,25).
Z.B. Kürenberger MF 8,17; Heinrich von Veldecke
MF 56,1; Albrecht von Johansdorf MF 92,35; Heinrich von Morungen MF 140,32.
Z.B. bei Reinmar dem Alten sowie in den
Minneliedern der beiden berühmtesten Epiker Wolfram von Eschenbach und
Gottfried von Straßburg.
Bezeichnenderweise spielt der Topos in der Lyrik
Hartmanns von Aue überhaupt keine Rolle.
Z.B. Kol von Neunzen KLD 29.I; Christian von
Hamle KLD 30.I; Gottfried von Neiffen KLD 15.VII u. XIV; Hiltbold von Schwangau
KLD 24.X.
Z.B. Ulrich von Liechtenstein KLD 58.XXIX u.
XLVI; Ulrich von Winterstetten KLD 59.XIV; Christian von Luppin KLD 31.VI;
Heinrich Hetzbold von Weissensee 20.II; die Anonymi KLD 38.a46 u. xLXII; Konrad
von Altstetten SMS XXIV,3; Graf Werner von Honberg SMS XXVI,4; Johannes Hadlaub
SMS XXVII,53.
Z.B. bei Oswald von Wolkenstein Kl 61; im
Liederbuch der Klara Hätzerlin sowie in v.a. anonym überlieferten Minnereden -
ein Genre, das sich der Frauenbeschreibung weit öffnet.
'Poetria nova' V.599f.
Auf das Problem der sog. 'Pseudo-Neidharte', d.h.
auf die Frage nach der Echtheit der von mir abgedruckten Neidhartschen Texte,
gehe ich wie auch bei den beiden Pseudo-Reinmaren in meiner Textsammlung nicht
ein. Vgl. zu Neidhart: Schweikle (1981), der dieses Problem wohl mit dem
richtigen Schuß Realismus und ohne die Scheuklappen des 19. Jhs sieht.
Beyschlag S.527.
Das Liederbuch der Hätzerlin, um 1475
entstanden, zeigt, welche Texte dem (nun auch bürgerlichen) Publikum genehm
waren. Es umfaßt auch die typisch spätmittelalterliche Gattung der
'Minnerede', in welcher wir unzählige Frauenkörperbeschreibungen finden. In
einer solchen 'Minnerede' in Hätzerlins Liederbuch (II.53) finden wir in V.79: Da
leüchten zwen sternen abe finden wir ein Zitat aus Walthers
'Frauenpreislied' (L 54,31), das als Hinweis auf die mannigfachen direkten
Bezüge des 13. bis ins 15.Jh. hinein exemplarisch genannt sein soll.
Ich belasse es hier bei einigen wenigen
Beispielen und lasse beispielsweise Suchenwirt, Hugo von Montfort, Muskatblüt
und andere Autoren des 14. und 15.Jhs aus - selbstverständlich nimmt hier die
Fülle der Frauenbeschreibungen stetig zu, jedoch es ist Aufgabe dieser Sammlung
und Studie, die Entfaltung des Topos puella bella im 12. und 13.Jh.