Nachbetrachtung

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Alva & Aquarius

Nachbetrachtung

von Jakob Ossner

 

Die Mythe lebt! oder Der neue Blick

Zwerge auf den Schultern von Riesen, heißt es, sähen weiter. Wir sehen weit und vergessen unter uns die Titanen, auf deren Schultern wir Platz genommen haben. Wir sind gewohnt, nach vorne zu sehen; die Sicht zurück, den Respekt, mahnen wir unseren Kindern an; was aber erblickten wir, wenn wir hinabsähen zu den Fußspitzen derer, die uns tragen? Heroisches oder Alltägliches, Fremdes oder Bekanntes, uns selbst gar im Spiegel, ein Bild, in das wir uns verlieben könnten?

Wir sehen Hera mit Zeus hadern - aber wollten wir nicht ein Vorbild für unsere eigenen mittelmäßigen Beziehungen? Europa, Leda und Helena auf dem Laufsteg aufstolzieren - aber hatten wir nicht schon genug von solchem Gegackere? Die Faune wie brunftige Hirsche hinter jeder Kuh her - wir gönnen es ihnen ja, aber müssen sie deswegen vor uns gerade ihre Gemächte aufpumpen?

Nein, die Mythe log. Wir sehen uns wohl, aber dieses Zerrbild wollten wir nicht sehen; sollen sie sich doch aufführen und ihr tägliches Drama abspielen. Die Mythe gaukelt uns eine heroische Zeit vor, die Zeit vor dem Sündenfall, der uns gewöhnlich werden ließ. Sie lügt: triebhaft sind sie, eifersüchtig und aufgeblasen, noch schlimmer als wir selbst. Und diese Sprüche, die abgeschmackt unentwegt aus ihren Mündern sprudeln - kennen wir sie nicht alle irgendwie aus der Schule? Auswendig, aber ohne inneren Sinn plappern wir mit, als litten wir an Logorrhöe. Hat sich je einer davon bewährt?

Ist das alles? Haben wir wirklich alles gesehen oder haben wir nur herabgesehen, mit dem überheblichen Blick von oben?

Steigen wir hinab, nehmen wir Platz, mischen wir uns ein, reden wir mit! Was für ein Raum erschließt sich uns da! Jetzt erst nehmen wir den Ort des Geschehens wahr. Ein wahrer locus amoenus, der die Taten in ein mildes Licht rückt. Man möchte meinen, dass an diesem Ort nichts Böses geschehen kann. Heiterkeit nimmt in unserem Herzen Platz. Die immer unzufriedene Hera erscheint uns jetzt urkomisch, Zeus ein liebenswerter alter Lebemann, dem wir Muße für seine Memoiren gönnen; die Faune lebensstark, als wären sie gerade einem Bild Picassos entsprungen und hätten lebendige Gestalt angenommen. Der Ort verjüngt, ein Jungbrunnen unseres Seele, wir sollten ein Bad in ihm nehmen und uns den alten Blick aus den Augen waschen, damit wir wieder wirklich sehen und lachen können nach Herzenslust.

Orte verzaubern und werden verzaubert. Mit Alvas Erscheinen, diesem unschuldigen Wesen, der Lieblichkeit in Person, endet das Gezänk und Gegackere der olympischen Hühner. Sie, die Bezaubernde, verzaubert die, die in ihre Nähe kommen. Selbst der umtriebige Faun entdeckt hinter dem Trieb die Sehnsucht und steuert auf den Hafen der Ehe zu.

Die Natur siegt über die alte Kultur und schafft eine neue. Zusammen kommt, was zusammengehört: die liebreizende Alva und der schöne Jüngling Ganymed, aber natürlich auch - wieder und erneut - Hera und Zeus und der Geißenfaun und die Heidebrunnennymphe sowieso und alle, die wollen, du und ich. Sind wir nicht schon immer füreinander geschaffen gewesen?

Ganz anders jetzt der Worte Fluss - wie das ewige Dahinmurmeln der Quellen, Bäche und Flüsse erscheinen sie uns jetzt; ihr Wohlklang erfreut und stimmt uns freundlicher gegen die anderen und gegen uns selbst.

Eine sanfte Erinnerung und der feste Glaube, dass am Schluss immer alles gut werde, ergreift uns. Wir haben gelacht und geschmunzelt, die Bilder in uns gesogen wie Nektar, wir sind verzaubert und größeren Mutes als eben noch.

Gewandelt kommen wir uns vor. Milder gestimmt mit dem Blick auf das alles. Ganymed wird zum weisen Aquarius, um jenseits des Fluches in der Liebe seiner Alva treu zu bleiben. War sie nicht gerade da, die neue Zeit, the age of Aquarius? Für Momente fern der Tage Sorgen und der Erden Last. Ganz ohne Esoterik-Geheimniskrämerei und astrologischen Zauber, beflügelt nur durch das Spiel der Götter, Nymphen und Faune und durch unsere Phantasie an diesem lauen Sommerabend in Bad Herrenalb.

Die Mythe lebt!

Jakob Ossner

 

 

© Dr. Rüdiger Krüger, Rheda-Wiedenbrück 2006
Kontakt: mailto:siegfriedcarl@hotmail.com
letzte Änderung: 28.05.00

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